Sonntag, 21. Juni 2015

I’m a Sailors Bride - Die blanke Wahrheit (Der lange Post!)




Wenn es um Segeln geht, denken viele Leute ja an blaues Wasser, Sonne, Wind, Bikini, schöne Menschen auf schönen Yachten, spritzige Kaltgetränke, Urlaub und gute Laune.

Tatsächlich gehörte auch ich einmal zu diesen Falschgläubigen, und will Euch jetzt einmal meine Sicht auf diese Dinge näherbringen:

Als ich meinen Mann kennenlernte,

war ich unwissend!

Und jetzt erkläre ich Euch warum...
Mein Mann ist ein Kapt’n und Segeln gehört für ihn, wie für Generationen in seiner Familie vor ihm, zum Leben dazu. Krasser noch: ein Leben ohne Segeln wäre sinnlos!

Und das ist kein Scherz!

Als ich ihn kennenlernte, wußte ich jedoch nur, dass er ein Segelboot besitzt und gerne segelt.

Ein Segelboot – das meinte ich damals -

ist eine Yacht mit einer Kajüte, in der man Sherry trinkt, wenn man nicht gerade vorn am Bug im Bikini in der Sonne liegt und Sekt trinkt, während die Segel an zwei bis drei Masten weiß in der Sonne leuchten.

Wie toll war es also, als mein Süsser ankündigte, mich zum ersten Mal mit zum Segeln auf „seine Talsperre“ mitzunehmen. Da hatte ich gleich einiges zu tun, denn ein neuer Bikini mußte her, blass wollte ich auch nicht aussehen, also ab unter die Sonnenbank, und was Frau dann so zu tun hat, bevor sie sekttrinkend UND schön aussehend vorn auf dem Bug liegt.

Klar, ein paar Sachen kamen mir dann auf dem Weg zur "Yacht" schon spanisch vor, aber Ihr wißt ja: „Verliebt sein“ macht bekanntlich blind?!

Bevor ich mich dem Wasser überhaupt genähert hatte, bekam ich damals nämlich schon eine erste Einweisung, was ich alles zu beachten habe:

1. Nie mit Schuhen mit dunkler Sohle an Bord gehen (das gibt Streifen)
2. Nie vorn auf das Holz des Bugs treten (...hmm..aber wie sollte ich denn sonst dort hinkommen, um mich in die Sonne zu legen?)
3. Keine wertvollen Sachen mit an Bord nehmen (wird denn unter Seglern so viel gestohlen?)
und
4. Das Wichtigste: Immer machen, was der Kapt‘n sagt, und
5.  Merken: "Passieren kann gar nichts, schließlich gibt es die DLRG" (sollte die mir die Sonnencreme bringen, oder was sollte bloß Schlimmeres passieren, als mir meinen Teint zu verbrennen?)

Mich schreckte das nun tatsächlich alles nicht ab. Ich war noch immer guter Dinge.


Schließlich würde ich gleich in der Sonne liegen und nichts anderes mehr tun als "schön aussehen".

Und dann kam am Segelclub der Augenblick des ersten, leisen Erwachens:

Über meinen schicken neuen Bikini sollte ich nämlich so einen stinkenden, schwarzen Gummianzug ziehen, der Arme und Beine komplett bedeckte. 
Genannt Neopren.
Darüber kam eine unförmige, orange-farbene Schwimmweste.
Ganz ehrlich, fast hätte ich gedacht, dass gleich Frank Elstner mit der Kamera von „Verstehen Sie Spaß“ um die Ecke käme, aber schon ging es ab zum Steg. 

Mein erster Segeltag war übrigens ein Sonntagnachmittag, und vor dem Clubhaus saßen acht oder neun gestylte Damen mittleren Alters mit roten Fingernägeln und tranken Sekt aus Piccoloflaschen.

„Die Seglerfrauen!“, wurde mir respektvoll zugeraunt…..
Unverkennbar, eine ganz eigene, mit Ehrfurcht und Respekt zu behandelnde Erscheinung eines Segelclubs.

In meinem gepflegten und gestylten Neopren-Anzug mit Schwimmweste wurde ich dann mit diesen aufgehübschten Damen bekannt gemacht und begrüßt, und mir allgemeine Anerkennung ausgesprochen, dass ich "aufs Wasser wolle", aber gleichzeitig wurde mir Beileid gewünscht.

(Warum musste mir schon Beileid gewünscht werden, wo ich doch den Sekt nicht aus Piccolos, sondern aus den großen Flaschen in der Sonne auf dem Deck schlürfen wollte?!)

Hätte ich mir spätestens da etwas denken sollen?

Ja, hätte ich, denn dann kam der Augenblick der Wahrheit!

Fakt war, dass das Segelboot nicht der Becks Dreimaster, sondern ein waschechter Flying Dutchman war!





Kurze Erklärung für alle Nicht-Segler:
Dieses Boot hat KEINE Kajüte, man braucht in der Regel KEINEN Bikini, dafür ist Neopren-Pflicht auch im Hochsommer.
Gesegelt wird NICHT in einer netten Party-Gruppe mit 
schöner Musik  (klick hier)sondern zwingend zu zweit, nicht auf dem Deck liegend, sondern angebunden am Mast!
(Das nennt man in der Segelsprache, die Frau vom Land natürlich auch nicht beherrschte, „Im-Trapez-Stehen“, wofür man eine Pampers-ähnliche Hose mit einem Haken am Bauch trägt.)
Eine Trapez-Hose erinnert optisch übrigens stark an die Keuschheits-Gürtel des Mittelalters, und in der Sonne liegt man schon gar nicht, weil man nämlich der VORSCHOTER ist.

Auf keinen Fall zu verwechseln mit dem Käpt'n, sondern eher mit Hein Blöd von Kaptn Blaubär.

Es gibt nämlich eine strenge Rangfolge an Bord: das Sagen hat der Kapt’n, springen muss der Vorschoter!

Und der Vorschoter hat an Bord alles möglich zu tun, wie Segel hissen, in den Wenden (Segelwissen:
Die Wende dient beim Segeln
dazu, größere Kurskorrekturen vozunehmen) von links nach rechts springen, Schoten stramm ziehen - wobei man sich die Hände kaputt macht usw. – usw.

Und um es nun deutlich zu sagen:

Ein Flying Dutchman (genannt: FD) ist eine olympische RENNJOLLE! Von wegen Sonne…Bikini…Becks….

Und ich war damals ein Coach Potato! (o.k., das nicht, höchstens aus olympischer Sicht!)
Da hatten sich jedenfalls zwei gefunden!

Dennoch: Frau läßt sich ja nicht lumpen.

Und, dass ich um das Segeln bei dem Mann wohl nicht herumkäme, war mir auch klar!

Da ich mich also dann, wie Ihr merkt, auf das Segeln eingelassen habe, halte ich es an dieser Stelle für angebracht, für diejenigen, die noch nicht so verwachsen mit dem Wassersport sind, ein kleines Segellexikon einzufügen:

Böe = starker Windstoss
Krängen = das Boot legt sich auf die Backe = der Ungeübte meint, das Boot kippt um
Trapez = ein am oberen Teil des Mastes befestigter Draht, der dem Gewichtstrimm durch den Vorschoter dient (d.h. dazu, das Boot optimal auszubalancieren)
Neopren-Anzug = stinkender Anzug aus Gummi, der verhindert, dass die vom Anzug bedeckten Körperteile direkten Wasserkontakt bekommen und dient als thermischer Isolator, so dass der Körper nicht auskühlt.
Kentern = Das Boot kippt auf die Seite; die Mannschaft fällt dabei meistens ins Wasser
Durchkentern = Das Boot kippt erst auf die Seite und dreht sich dann komplett um, bis das Schwert des Bootes in den Himmel zeigt
Schoten = Seile und Stricke an Bord
Kapt’ = wichtigster Mann an Bord
Vorschoter = Mann/Frau fürs Grobe (oder Hein Blöd)


Jetzt seid Ihr besser vorbereitet, wenn ich Euch jetzt von meinem ersten Segelerlebnis überhaupt berichte.


An dieser Stelle bitte ich übrigens alle – und nehmt mich ernst – die noch nie Segeln waren, aber im Begriff sind, sich in einen Segler zu verlieben, sich hier auszuklinken!
Hört einfach nicht hin!

Ihr müßt nur eines wissen: …alles wird gut!

Zunächst muss ich Euch erzählen, dass der Kapt’n mit Verlassen des Hafens eine Wesensveränderung durchmachte, wie der Werwolf bei Vollmond.

Was da vorher frisch verliebt und zuvorkommend war, erteilte nun plötzlich äußerst knappe, fast schon unfreundliche Anweisungen, und erwartete sofortiges Handeln.

Da der Kapt’n augenscheinlich aber unter Farbenblindheit litt, was die Farben der im Boot verlaufenden, gefühlten 100 Schoten betraf, gestaltete sich das Handeln als nicht einfach.

Zudem war ich ja am Mast festgebunden, wo ich – wie mir erklärt wurde – eigentlich durch ein "im Stehen über die Bootskante Hinauslehnen" ein Gegengewicht zum Wind sein sollte, der in das Segel drückte, und das nussschalenleichte Boot zum Umkippen zu bringen drohte.

(einmal im Leben war also mein Gewicht gefragt!)

So hing ich im Trapez und kreischte im Wind, und beim Befehl „Rauslehnen“ streckte ich auch brav, so gut es ging, mein Hinterteil weit nach hinten und sah somit ungefähr so elegant aus, wie die Skifahrerin mit ausgestrecktem Popo im Schneeflug auf der Piste.

Aber der Flying Dutchman machte auch schnell seinem Namen Ehre, nahm Tempo auf und sauste über den See.

Nicht, dass noch jemand meint, ich sei erst in den Genuss eines langen Trockentrainings gekommen!
Eine gewisse maritime Feinfühligkeit wurde eigentlich als angeboren vorausgesetzt.

Aber das war dann doch tatsächlich der Moment, als ich Gefallen am Segeln und an einem Boot ohne Kajüte aber mit olympischen Qualitäten fand.

Man muss es nämlich wirklich einfach erlebt haben:

Die Geschwindigkeit, die Ruhe auf dem Wasser, der Wind – das ist wirklich ein unaussprechliches Stück Freiheit.

Leider kommt auf einem See aber nach dem Stück Freiheit immer irgendwann ein Ufer, und man muß wenden. Je mehr Wind, desto schneller...


Und dann kam auch irgendwann der unausweichliche Moment des Anfängerglücks, in dem das Boot krängte und krängte, und kippte und kippte, und ich stand in meinem Trapez auf der Bootskante, kam immer mehr gen Himmel und fühlte mich wie Kate auf der Titanic...
– nur nicht so schön.

Zu dem Zeitpunkt waren meine Hände und Füße - alles vom Spritzwasser ordentlich nass - übrigens schon blau gefroren, und dann war es mit meiner Fassung auch vorbei.

Heulend hing ich da auf der Kante und kreischte – bis das Boot seitlich im Wasser lag und ich 1,8 Meter unter mir das Segel auf dem Wasser liegen sah und nicht wußte, ob ich mich jetzt nach vorn oder nach hinten fallen sollte.

Alles war möglich, nur Stehen bald nicht mehr!

Der Befehl des besorgten und verliebten Kapt’n lautete dann auch liebevoll:
„Jetzt fall mir ja nicht auf das Segel! Hörst Du?!
NICHT AUF DAS SEGEL!“

Rumms, lag ich daraufhin heulend erst im Segel und dann im Wasser unter dem durchgekenterten Boot und dachte, mein letztes Stündchen habe geschlagen.

Zum Glück kümmerte sich der Kaptn gleich um das arme Boot. Das war schnell aufgerichtet, während ich wohl wortwörtlich der schwerere Fall war und in meinem stinkenden Gumminanzug wie ein nasser Seehund von einem mitleidigen DLRG Erstretter ins Seenot-Rettungsboot, dessen Besatzung sich das Schauspiel angeschaut, und dann auf die Tube gedrückt hatte, gezogen wurde.

So, Ihr seht...

Wenn Ihr an Segeln denkt, stellt Euch Yachten mit weißen Segeln in schönen Buchten mit schönen feiernden Menschen vor!

Das war also mein erster Versuch mit dem Segeln!


Irgendwie habe ich mich nach Hause geschleppt und mich unter die warme Dusche gestellt, um ganz langsam aufzutauen.
Am nächsten Tag konnte ich mich dann kaum noch bewegen vor Muskelkater und Prellungen, und meine Hinterseite und Oberschenkel waren fast ganzflächig blau, sodass ich meine kurzen Röcke und Kleider trotz Sommer und Sonne für mindestens zwei Wochen im Schrank lassen und auf lange Hosen ausweichen musste.

Und was glaubt Ihr?!

NATÜRLICH habe ich da getan, was getan werden musste!
Den einzig richtigen Schritt, wie Ihr Euch denken könnt!

Das einzige, das für eine selbstständige, emanzipierte Frau von Welt in einem solchen Fall überhaupt in Frage kommt: ich habe den Mann und sein ... auf der Stelle verlassen, habe meine Wunden geleckt und bin zurück auf mein Sofa gekrabbelt?!

 Nein! Dummer- Glücklicherweise nicht.

Denn jeder, der schon einmal gesegelt ist, wird es bezeugen: man kann es hassen, dabei frieren und klatschnass werden, über Bord gehen oder kentern - aber irgendetwas hat es, dass einen sofort infiziert.

Die Freiheit und Frische, die man noch einmal spüren möchte, das Blau des Wassers und das Weiß der Segel, gepaart mit einer ordentlichen Portion Kamikazetums.

So habe ich mich tatsächlich noch mindestens drei, vier weitere Male von der DLRG retten lassen, bevor der Kapt’n sic ich mich an das Verhalten eines FD gewöhnt hatte.





Im nächsten Herbst habe ich das Schiff mit diesem Mann aus dem Wasser geholt und und liebevoll warm verpackt, ihm (dem Mann) dann die Hand gehalten, als die Tür der Scheune, in der das Boot überwinterte, für den Winter geschlossen wurde, und mich mit ihm gefreut, als die Tür im Frühjahr wieder geöffnet wurde.

Und das viele Winter lang!
Die trübe Winterzeit habe ich mit ihm genutzt, um über die "Boot" in Düsseldorf zu schlendern, mit ihm von einem gemeinsamen Ruhestand auf einem Weltumsegler (in ca. 100 Jahren) zu träumen und mir für gefühlte drei Millionen (damals) Deutsche Mark einen - mir tatsächlich passenden und weniger stinkenden - Neoprenanzug für die vielen kommenden Saisons zu kaufen, und machte schließlich unter Angsttränen meinen eigenen Segelschein, den ich dann dermaßen seemännisch mit Rum begossen habe, wie es eine Seglerin nur tun kann.

Irgendwann tat ich das Unvermeidliche und gab dem Kapitän und seinem Boot mein Ja-Wort, und mit unserem ersten Leichtmatrosen, der sich ankündigte, wurde der

Flying Dutchman gegen eine pseudo-regattataugliche Varianta eingetauscht. 
(Für die Nichtsegler: Eine Varianta ist ein Boot mit Kajüte, bei dem niemand im Trapez stehen muss. Stattdessen gibt es sogar Sitzbänke...)



Trotzdem... eine Bootsklasse, die für den Kapt‘n eigentlich bis zum letzten Tag als Segelboot indiskutabel blieb, aber den Vorteil hatte, dass man den Maxicosi im Schiffsaufgang so befestigen könnte, dass die Babys dort in den Schlaf geschuckelt wurden.

Als aber auch der zweite, kleine Leichtmatrose keinen Mittagsschlaf mehr brauchte, war es für den Käpt'n daher an der Zeit, ein regattataugliches Sportschiff, auf dem trotzdem die ganze Familie Platz hatte, zu kaufen, und so hieß unser Familienzuwachs "Sprinta Sport"!

Inzwischen bin ich zwar die Frau eines Seglers aber - ich betone - keine Seglerfrau, und es gab Zeiten, da wäre ich lieber das Segelboot als die Frau gewesen und Zeiten, da habe ich mich gefragt, warum ich mich nicht einfach in einen Briefmarkensammler oder Minigolfer verlieben konnte, aber...ich will ehrlich sein:

Heute ist das Segeln eben auch aus meinem Leben nicht wegzudenken, zumal auch die Leichtmatrosen schon damit anfangen.

Und wenn ich heute auch nicht mehr in einem Neopren über dem schönsten Bikini auf das Boot steige, sondern mit dem Picknikkorb in der einen und der Leine mit dem Familienhund in der anderen, so gehört mein Herz heute dennoch dem See, dem Schiff und dem Käpt'n!


Maritime Grüße von
Eurer Lillewind



 

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